Die soziologische Theorie des Habitus gibt einen eigenen Erklärungszugang zum Verständnis menschlichen Denkens und Handelns, vor allem hinsichtlich eines vielfach unbewussten, routinierten Alltagshandelns, das sich an sozialen Strukturvorgaben und individuellen Denk- und Handlungsvorlieben ausrichtet. Die Habitusanalyse eröffnet einen Verstehenszugang für die komplexe alltags- und lebensweltliche Praxis des Menschen.
Unseren Denk- und Handlungsweisen liegen sozial erworbene jedoch unreflektiert übernommene Deutungs- und Wahrnehmungsschemata zugrunde, mit denen wir in sozialen Situationen und an bestimmten Orten reagieren. Diese gilt es zu identifizieren, will man festgefahrene Handlungsweisen verändern. Neben dem subjektiven Erleben und der Deutung einer Situation fragt die Berater*in deshalb auch nach Erlebnissen der Herkunftsfamilie sowie den objektiv sichtbaren Strukturen oder sozialen Einflüssen, die das Problem begleiten. Machteinflüße, Distinktionsbestrebungen (Soziale Abgrenzung) und damit verknüpfte Formen symbolischer Gewalt werden aufgegriffen und besonders hartnäckige oder vermeidende Handlungsmuster zum Anlass genommen, diese auch strukturell zu durchleuchten und zu verstehen.
Kurz gesagt: Die Habitusanalyse bietet dem Berater ein Instrument/ Erklärungsmodell zur Identifikation gesellschaftliche Einflüsse im Denken und Handeln des/der Ratsuchenden, die eher intuitiv, emotional erfahren werden und jetzt kognitiv greifbar sind. Im individuellen Beratungskontext wenden die Beteiligten die Bausteine der Habitusanalyse gemeinsam an oder arbeiten damit biographisch. Oder der/die Beratende nutzt dieses Diagnoseinstrument als Hintergrundinformation, um in Teamzusammenhängen bestimmte Positionen und damit verknüpfte Einstellungen zu verstehen.
Ich nutze den Ansatz der Habitusanalyse in der Beratung von Einzelpersonen, aber vor allem auch in der Arbeit mit Teams. Das zeitweise Verlassen der persönlichen Sinnebene und die Identifikation der Tragweite gesellschaftlicher Strukturen in unserem Handeln eröffnet dem Einzelnen neue Erkenntnisse hinsichtlich der eigenen Wurzeln, der Zugehörigkeit zu einem Geschlecht oder einer Ethnie sowie der Entdeckung bisher versagter Entwicklungshorizonte. Letzten Endes stellt die eigene Habitusanalyse des/der Beratenden die selbstreflexive Grundlage zur Entwicklung einer habitussensiblen Arbeitshaltung dar.